UrologieBeirat fragt: „Wieviel Ökonomie verträgt unser Gesundheitswesen?“

Moderator Dr. Axel Schroeder am Rednerpult
Dr. Axel Schroeder

Unter dieser Leitfrage hatte der Berufsverband der Deutschen Urologie e.V. (BvDU) mit der Preisfindung für neue Medikamente in der Onkologie ein gesundheitspolitisch heißes Thema auf die Agenda der 11. Sitzung des Urologiebeirates gesetzt. Die Bewertungsverfahren sind umstritten, und nicht zuletzt ist die Sorge vor einer Kostenlawine in diesem extrem expandierenden Arzneimittelbereich groß. Über 30 Vertreter aus den Mitgliedsunternehmen der Kooperationsgemeinschaft und weitere geladene Gäste nahmen die Gelegenheit zum Gedankenaustausch wahr und diskutierten Mitte Mai im frühsommerlichen Berlin über die Auswirkungen des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG), das seit 2011 steigende Arzneimittelausgaben deckeln soll und vorschreibt, dass sich die Preise für neue patentgeschützte Medikamente an ihrem Zusatznutzen orientieren.


Doch was wird bewertet? Nutzen oder Kosten? Drohen über die Preisfindung Steuerung und Rationierung? Wie sehr steht das Regress-Risiko dem Arzt-Patienten-Verhältnis im Weg? Fragen und Sorgen der Ärzte brachte BvDU-Präsident Dr. Axel Schroeder in seinen Begrüßungsworten auf den Punkt. Besonders die Urologie, die ein Viertel aller Krebserkrankungen in Deutschland versorge, sei von der rasanten Entwicklung bei der medikamentösen Tumortherapie betroffen, betonte er. „Wir als BvDU wünschen uns natürlich eine Balance der Interessen, einen Ausgleich sowohl vonseiten der Arzneimittelhersteller als auch der Krankenkassen, die nach meiner Meinung die Verantwortung für die Preisgestaltung haben. Diese möchten wir nicht bei uns Ärzten sehen und ihre Auswirkungen nicht in unserem urologischen Alltag tragen müssen“, so Dr. Schroeder in Berlin.

Die Kostenexplosion ist gebremst

In den folgenden Impulsreferaten kamen die Ökonomie, die Kostenträger und die Jurisprudenz zu Wort. Eine relativierende Einordnung der Sachlage übernahm Gesundheitsökonom Prof. Dr. Frank-Ulrich Fricke von der Technischen Hochschule Nürnberg. So gehöre es zu selbstverständlich zu den Aufgaben einer Gesellschaft die Verwendung ihrer Ressourcen in allen Lebensbereichen, also auch in der Gesundheitsversorgung, zu gestalten. Die Kostenexplosion sei so dramatisch nicht, vielmehr seit Inkrafttreten des AMNOG gebremst. Die Gefahr einer expliziten Rationierung sieht Prof. Fricke in Deutschland nicht – sieht sie aber, wie Dr. Schroeder, implizit als vorhanden an. Dass Bewertungsverfahren Auswirkungen auf Forschungs- und Entwicklungsprozesse haben, steht für ihn außer Frage, auch wenn sich dies nicht mit Evidenz belegen lasse. Nach Worten des Ökonomen sei ein offenerer Umgang mit den Anreizeffekten der eingesetzten Bewertungsverfahren notwendig und letztendlich werde die Gesellschaft eine Diskussion über Zahlungsbereitschaft führen müssen.

Im O-Ton „harten Stoff“ präsentierte Dr. Antje Haas, Abteilungsleiterin Arznei- und Heilmittel im GKV-Spitzenverband, die dem Auditorium in ihrem Vortrag die ganze Komplexität der klinischen Bewertung und der Preisbewertungsverfahren vor Augen führte. Umso erstaunlicher erscheint es, dass sich Pharmaindustrie und Gesetzliche Krankenkassen in den allermeisten Fällen einigen. Darauf wies Rechtsanwalt Henning Anders, Rechtsanwaltsgemeinschaft Möhrle Happ Luther, in seinem Impulsreferat hin. Er erwartet Marktveränderungen durch Generika und konstatierte, dass AMNOG-Verfahren auch unter den Bedingungen des demografischen Wandels im Großen und Ganzen gut funktionierten und Kostenentwicklungen immer im Gesamtbild gesehen werden müssten. Bei innovativen, sehr teuren und hoch selektierten Therapien bräuchte es indes neue Verfahren.

„Wir brauchen eine späte Nutzenbewertung“

In der Diskussion war es der internationale Vergleich mit anderen Gesundheitssystemen, der bei allen hiesigen Problemen viel Zustimmung für das deutsche System generierte. Dennoch stehen Ärzte vor der schwierigen Aufgabe, die Nutzenbewertung zum Patienten zu transportieren und zu entscheiden, was in der konkreten Situation eine gute Therapie ist. „Der Versicherte fragt nicht nach Nutzen und Preis“, so Dr. Axel Schroeder. Deshalb bräuchte es nach dem BvDU-Präsidenten härtere Daten, welche die Lebensqualität einbeziehen. „Wir brauchen in unserem Alltag eine späte Nutzenbewertung für mehr Behandlungssicherheit und eine Justierung und Differenzierung in der Arzneimitteltherapie.“ Zustimmung dafür gab es von den Referenten, dennoch blieb die Frage nach der Finanzierbarkeit solcher Studien und vergleichender Register.

In seinem Schlusswort dankte Schroeder den Referenten für ihren differenzierten Einblick in die Nutzenbewertung: „Sie ist ohne Frage für uns wichtig. Wir haben das Ziel einer guten Qualität in der medikamentösen Tumortherapie, und wenn das Ganze auch noch ökonomisch zu vertreten ist, haben wir eine Basis, um das Potential, das in der Tumortherapie, in der Forschung und der Innovation steckt, auch auszunutzen, denn es ist deutlich, dass wir auch bei den urologischen Tumoren die ein oder andere Erkrankung heilen bzw. in einen quasi chronischen Verlauf bringen können – wohl wissend, dass es natürlich ein hoher Kostenaufwand ist“. Rationierung sei keine Alternative.

Die 12. Sitzung des Urologiebeirats wird am 25. September in Dresden unter der Leitfrage „Wieviel Ökonomie verträgt unser Gesundheitswesen?“ einen genaueren Blick auf die Versorgungsforschung richten.